Das hier soll Spaß machen

Gendarmenmarkt I Neben der Robe der Sopranistin werden der beleuchtete Dom und die von Trockeneisnebel umwaberten Statuen fotografiert. Ein paar Souvenirs springen bei Classic Open Air allemal heraus

Feuerwerk beim Classic Open Air Foto: Björn Schmidt

von Morgane Llanque

Eine große Frau mit sehr wenig Samt bekleidet rauscht mit mürrischer Miene an einer Gruppe Senioren vorbei. Die tragen Karohemden, gönnen sich Radler aus Plastikbechern und unterhalten sich fröhlich vorm Bierzelt, während im Hintergrund die ersten Musikerinnen die Stufen des Berliner Konzerthauses hinabschreiten. Pinke Scheinwerfer gehen an. Vereinzeltes Klatschen.

Es ist der vierte Tag des Classic Open Air Berlin. Und irgendwie passt hier alles nicht so recht zusammen – weder die Zuschauer noch das Abendprogramm. Die aufgebauten Ränge auf dem Gendarmenmarkt sind nicht mehr ausverkauft wie am Eröffnungsabend, auch die Promidichte hat deutlich abgenommen. Dafür haben um die Absperrungen herum umso mehr Guerilla-Gäste Campingstühle und Stullen mitgebracht. Von den Stufen des Französischen und des Deutschen Doms aus hören sie kostenlos zu, wie zwei Stunden lang Amerika simuliert wird. Oder zumindest simuliert werden will.

Unter dem Titel „Gershwin, Bernstein and Friends“ spielt das Konzerthausorchester unter Dirigent Kristjan Järvi vor allem Stücke aus den Musicals „Westside Story“ und „Porgy and Bess“. Das Motto des Abends: Der Gendarmenmarkt als Retro-Broadway! Und wenn wir schon dabei sind, packen wir noch das Hollywood der 50er dazu!

Dieses Superlative-Sandwich wäre für sich genommen ja kein Problem. Ein Open Air soll Spaß machen und nicht schwermütig sein. Aber warum klingt das erste Stück von Gershwin („Ein Amerikaner in Paris“) dann so lustlos heruntergespielt? Und warum wechseln sich die Auszüge aus den großen amerikanischen Musicals mit altehrwürdig europäischen Stücken ab?

Als der Starviolinist Ray Chen die ersten Töne der schottischen Fantasie von Bruch spielt, geht auf der Jägerstraße eine Auto­alarmanlage los – und hört eine ganze Weile nicht mehr auf. Chen spielt aber tapfer weiter auf seiner Stradivari, und zwar so präzise und zärtlich, dass einem trotz Großstadtdissonanzen im Hintergrund die Luft wegbleibt. Richtig genießen kann man es dann aber doch nicht. Zu sehr beißen sich die jazzigen Gershwin-Klänge mit den romantischen Bruch-Melodien.

Erst nach der Pause schafft es der ebenso punkig aussehende wie virtuose Cameron Carpenter, das Publikum richtig zu begeistern. Der amerikanische Wahlberliner spielt auf seiner selbst designten digitalen Orgel eine reißerische Bearbeitung von Bernsteins „Candide“-Ouvertüre. Vor allem die anschließende Toccata von Samuel Barber mit Orchester bleibt im Gedächtnis: Wann hört man überhaupt schon mal eine Orgel im Freien? Noch dazu eine, dessen Spieler es schafft, bei Elektrofestival-reifen Bässen so fein mit einem Orchester zu harmonieren?

Doch nach Carpenter bricht der Broadway weg, und Möchtegern-Hollywood schwebt her­ein: Die deutsche Sopranistin Nadja Michael betritt als ­Marylin-Monroe-Verschnitt die Bühne. Ihr Kleid hat Germanys „Next Top Model“ Jury-Mitglied Michael Michalsky gefertigt. Sie singt das liebloseste „Somewhere“, das die „Westside Story“ je erlebt hat. Dazu dreht sie sich lächelnd im Kreis und schwingt ihr Kleid um sich wie einen Fächer. Und obwohl die Sopranistin eigentlich ein wirklich reiches Timbre hat, bleibt ihre Interpretation unnahbar und kalt.

„Nie wieder, Olaf“, sagt eine vorbei­gehende Dame zu ihrem Ehemann

Trotzdem ein Blitzlichtgewitter. Neben Michaels Robe werden vor allem der beleuchtete Dom und die von Trockeneisnebel umwaberten Statuen des Gendarmenmarkts fotografiert. Das Happening zählt.

Seit 25 Jahren gibt es dieses Open Air, und schon seit Langem ist es dafür bekannt, dass es sich nicht um Konventionen schert: Hauptsache, es gibt Starpower und Dramatik. Trotzdem überfordert die überladene Show. Bei aller Liebe zum Glamour hätte ein bisschen mehr Einheitlichkeit nicht geschadet.

Das Finale, der „Bolero“ von Ravel, ist der musikalische Höhepunkt: Hier holt der wild dirigierende Järvi alles aus dem Konzerthausorchester heraus. Endlich ein paar Standing Ovations. Zwei Zugaben. Danach kann man dann auch gehen. „Nie wieder, Olaf“, sagt eine vorbeigehende Dame, die ihren Ehemann beim Gehen unterstützt, als die Massen sich langsam in Bewegung setzten. „Nie wieder.“ – „Man darf nicht die falschen Ansprüche an so was haben“, sagt Olaf. Recht hat er. Schließlich wollten Gershwin, Bernstein and Friends auch nur unterhalten.